von Wolfgang Werbeck

Viele von uns haben einmal einen Kinderbaukasten zum Geburtstag geschenkt bekommen. Wenn man den quadratischen Holzbehälter aufklappte, lagen darin neun Holzwürfel, mit buntem Papier überzogen.
Die Mutter zeigte uns, wie man die neun Teile so einander zuordnen konnte, daß sie ein ganzes Bild ergaben: ein Pferd oder eine Kuh. Nun probier es selbst, sagte sie. Und so lernten wir, wie aus Teilen ein Ganzes werden kann. Später wurde der Holzbaukasten durch ein Puzzlespiel mit 100 Teilen ersetzt. Auch die kunstvollen Mosaiken früherer Jahrhunderte sind nach dem gleichen Prinzip zusammengesetzt.

Schaut man sich Langendreer aus der Luft an, sieht es aus wie ein Mosaik aus weißen Straßen, grünen Wiesen und Wäldern, roten Häusern und gelben Feldern. Und das alles in einer durch viele Jahre gewordenen Ordnung. Ursprünglich gab es nur den Wald, dann die ersten Höfe an den drei Bächen. So bildete sich das Dorf und dann das Oberdorf und die Höfe auf Uemmingen zu. Später sammelten sich Häuser um den Schacht Urbanus jenseits der Wittener Straße. Dann entstanden neue Stadtteile: zwischen Mansfeld und altem Bahnhof eine Arbeitersiedlung mit Kirchen und Schulen sowie nordöstlich der Zeche Bruchstraße die Siedlung Wilhelmshöhe. Nach 1945 werden die Flächen am Neggenborn vollgebaut, die Westerberg-Häuser entstehen und die Siedlung Uemmingen wird errichtet. Jede Siedlung ist eine in sich geschlossene Wohngemeinschaft, alle zusammen bilden sie die Ortschaft Langendreer. Auch innerhalb der Siedlungen gibt es Unterteile wie z.B. in Uemmingen die alten drei Bauabschnitte. Insgesamt gilt also: das Ganze setzt sich aus Teilen zusammen.

Die Bewohner des ganz alten Dorfes Langendreer im Mittelalter waren Christen, gehörten also zu einer Gemeinde. Aber damals bildeten sie nur einen Teil der großen Kirchengemeinde Lütgendortmund, zu der auch Werne, Stockum, Oespel, Marten, Rahm, Kirchlinde, Kley, Bövinghausen und Westrich gehörten. Die meisten dieser Lütgendortmunder Teile sind erst um 1900 selbständig geworden. Langendreer dagegen hat schon mit Einführung der Reformation 1554 begonnen, sich von Lütgendortmund zu lösen. Dabei hat es eine Rolle gespielt, daß schon lange zuvor die Adelsherrn auf Haus Langendreer ein Kirchlein im Dorf hatten errichten lassen und daß sie nun als Patrone persönlich für das Luthertum eintraten. Aber auch die Gemeindeglieder stimmten freudig zu und belohnten damit den Eifer der Pastorenfamilie Schmidt, die sich Fabritius nannte, Vater Johann, Sohn Gerhard und Enkel Hermann. Nach dem dreißigjährigen Krieg hat dann endlich der Große Kurfürst 1663 die Selbständigkeit Langendreers bestätigt. Wenn wir heute vom Ganzen sprechen, meinen wir zunächst dieses Langendreer.

Allerdings blieb Langendreer auch als selbständige Kirchengemeinde nur ein Teil einer größeren Gemeinschaft. Die lutherischen Gemeinden im ehemaligen Amt, später Landkreis Bochum bildeten nach dem Fortfall der alten katholischen Diözesanordnung zwischen 1600 und 1700 miteinander ein neues Ganzes, genannt Classe Bochum, heute Kirchenkreis. Man besprach auf Synoden gemeinsame Aufgaben und Probleme, man half sich gegenseitig in Notsituationen oder bei Ausfall eines Pfarrers und man trat gemeinsam durch einen Sprecher, heute Superintendent genannt, den staatlichen und kommunalen Behörden gegenüber. Dieses synodale System des Ganzen und der Teile setzte sich auch im weiteren Aufbau der Kirche fort: mehrere Kirchenkreise bildeten bis 1818 die lutherische Kirche der Grafschaft Mark und später unsere westfälische Provinzialsynode, jetzt Landeskirche. Und die ist wiederum nur ein Teil der Ev. Kirche in Deutschland, welche sich einfügt in die ökumenische Gemeinschaft der Weltkirchen. Doch zurück zu Langendreer.

Das Kirchdorf Langendreer mit seinen Höfen und Kotten, den Ländereien und Wäldern, den Straßen und Feldwegen hat seine Gestalt bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts kaum verändert. Der alte Rektor Tetzlaff hat in seinem Heimatbuch diese ursprüngliche Form des Gemeinwesens noch deutlich vor Augen gehabt. Aber zu seinen Lebzeiten war das Neue schon angebrochen: von Süden her über die Ruhr war der Bergbau ins Land gekommen mit all seiner Technik, den notwendigen Betriebsgebäuden und vor allem mit seinem Arbeiterbedarf. Zum Abtransport der Kohle wurden Eisenbahnen gebaut. Und mit den Arbeitern für Zechen und Eisenbahnen kam die katholische Konfession wieder ins Ruhrgebiet, die seit der Reformationszeit nur noch von wenigen Getreuen vertreten worden war.

Diese Neuerungen bedeuteten einmal, daß sich das Luftmosaik Langendreers, von dem ich eingangs sprach, um die schwarzen Flächen von Urbanus, Mansfeld und Bruchstraße und die dunklen Bänder der neuen Eisenbahnlinien ergänzte. Bedeutender noch war der Zuzug neuer Menschen. Bisher kannte die Dorfgemeinschaft nur Landwirte und Handwerker, von Pastor und Arzt einmal abgesehen. Jetzt kamen zwei neue Berufszweige hinzu, und es hat lange gedauert, bis sich Bauern und Eisenbahner, Bergleute und Kötter als gleichberechtigte Bürger Langendreers zusammenfanden. Zumal die Zugezogenen vielfach aus anderen Landschaften, z.B. aus dem Hessischen oder dem Paderbornschen, kamen und sich erst an den Umgangston und den Dialekt hierzulande gewöhnen mußten. Wir kennen das aus der Nachkriegszeit, als die vielen Vertriebenen und Kriegsflüchtlinge bei uns Unterschlupf suchten. Einheimische und Zugezogene, das sind zwei Bevölkerungsgruppen, die oft mehr als eine Generation brauchten, bis die Teile zum Ganzen wurden, also die Neuen in die alten Nachbarschaften aufgenommen wurden, vor allem, wenn dann noch die sozialen Unterschiede zwischen reich und arm hinzukamen. Ein wenig von dem besonderen Zusammengehörigkeitsgefühl der alteingesessenen Landwirte z.B. habe ich noch mitbekommen, wenn die Pfarrerswitwe Alberts an ihrem Geburtstag die greisen Vertreter dieses alten Bauernstandes empfing.

Es war verständlich, daß bei diesen Problemen der Eingewöhnung die Neuen eigene Gruppen bildeten, z.B. Hessenvereine, Ostpreußenvereine, Kegelvereine. Dazu kam der Zusammenschluß der neuen Berufsgruppen in Gewerkschaften. Über die Kinder, die gemeinsam die Schule besuchten, ist dann doch allmählich aus den Puzzel-Teilen ein Ganzes geworden, das neue Langendreer des Industriezeitalters.

Problematisch war dieser Prozeß des Zusammenfindens angesichts der katholischen Zuwanderer. Da war am Anfang mehr Gegnerschaft als Gemeinschaft zwischen den Konfessionen. Die meist katholischen Bahnarbeiter siedelten am alten Bahnhof, wo dann auf Mansfeld zu auch evangelische Bergleute ihre Bleibe fanden. Man darf heute die alte Feindschaft getrost vergessen. Es gab ja dann um 1900 auch eine edle Konkurrenz beim Aufbau der beiden Kirchen und ihrer Ortsgemeinden. Doch es hat des Druckes der NS-Weltanschauung und des gemeinsam erlittenen Kirchenkampfes bedurft, bis sich Pfarrer und Gemeinden auf den oekumenischen Weg begaben, der die Teile der Kirche Jesu Christi zu gemeinsamem Lob des Herrn zusammenführt. Bis sich das Ganze der Christenheit, das wir glauben, wenn wir bekennen: ich glaube eine heilige, katholische bzw. allgemeine, christliche Kirche?, sichtbar zusammenfügt, mag noch lange Zeit vergehen; im Alltag sind unsere Gemeinden zu einer erfreulichen Gemeinschaft zusammengewachsen.

Hatte so das vom Dorf zur Kleinstadt heranreifende Langendreer über Jahre hin damit zu tun, die Folgen der Industrialisierung zu verdauen und zu einem neuen Ganzen zu finden, so mußte die Ev. Kirchengemeinde auch ihrerseits mit diesen Problemen fertig werden. Da waren erstens die katholischen Neubürger. Man konnte nicht mehr sagen: jeder Langendreersche gehört zu unserer Gemeinde. Da waren zweitens die Fremden, die von Zeche zu Zeche zogen und teilweise mit den Dörfern ihrer Heimat auch ihre Kirchenzugehörigkeit aufgegeben hatten oder die von ihren sozialistischen Arbeitskollegen zum Kirchenaustritt überredet worden waren. Die Einführung der Standesämter 1874/75 hing u.a. damit zusammen, daß nicht mehr alle Brautpaare kirchlich getraut sein wollten. Und da waren drittens neben Katholiken und Ausgetretenen die Mitglieder von Sekten und Freikirchen, die sich gerne dort ausbreiteten, wo die Pfarrer mit den Hausbesuchen nicht mehr nachkamen. Als ein Baptistenprediger auf dem Langendreerschen Friedhof einen Glaubensgenossen beerdigen wollte, kam es zum Prozeß, weil die evangelische Gemeinde ihr Hausherrnrecht wahrnahm. Auch aus solchen Gründen ist dann der Kommunalfriedhof zusätzlich zu dem evangelischen entstanden.

In der sogenannten Gründerzeit vor und nach 1870 war also das ganze Gefüge des alten dörflichen Langendreer durch Bergbau und Eisenbahn, durch neue Berufe und Konfessionen durcheinander geraten und neu eingeteilt worden. Die Zahl der Berufsarten hatte sich ebenso vermehrt wie die Zahl religiöser Gruppen. Diese Beimengung neuer Teile unter den alten Bestand weckte das Problem des Miteinander: wie lebten sie untereinander - gleichgültig nebeneinander oder feindlich gegeneinander oder ganz freilich miteinander? Das Problem des Miteinander entsteht überall, wo Teile ein Ganzes bilden: in der Familie, in Haus und Nachbarschaft, in allen sozialen Gruppen. Mit jeder Generation, mit jeder Veränderung der gesellschaftlichen Regeln entstehen und vergehen neue Spannungen, und man darf dankbar sein, wenn die Mehrheit der Beteiligten ein vernünftiges Zusammenleben anstrebt und Regeln dafür findet.

Innerhalb des Ganzen der Ev. Kirchengemeinde entstand durch die Zunahme der Bevölkerung neben der Trennung von Austretenden, Sekten und Katholiken ein zusätzliches Dilemma durch die schon angeklungene Tatsache, daß der Pastor durch die zunehmende Zahl der Gemeindeglieder in seiner Arbeitskraft überlastet wurde. Bei mehr als 4000 Gemeindegliedern fallen so viele Amtshandlungen an, steigt die Zahl der Konfirmanden so hoch, daß kaum noch Zeit bleibt für die sorgfältige Vorbereitung der Predigt und für den notwendigsten Besuchsdienst in den Häusern. Der damalige Pastor Frey hatte zusätzlich im Nebenamt eine kreiskirchliche Funktion übernommen, nämlich den Vorsitz im diakonischen Ausschuß der Synode. Er war also der damalige Chef der Diakonie im Kirchenkreis. Es ist verständlich, daß er bei diesen Belastungen gerne einem Ruf in eine Düsseldorfer Pfarrstelle folgte. Und das Presbyterium war so vernünftig, dem Nachfolger, Pastor Landgrebe, sofort als zweiten Pfarrer Pastor Prietsch zur Seite zu stellen.

So wurde nun das Ganze der Gemeinde ab 1879 auf zwei Pfarrer verteilt. Das Presbyterium mußte Regeln finden, nach denen die zwei Geistlichen mit- und nebeneinander arbeiten konnten. In vielen anderen Gemeinden kam es dadurch zu Schwierigkeiten, daß der Pfarrer in der 1. Pfarrstelle eine höhere Würde, sogar mehr Gehalt beanspruchte als der neue zweite Pfarrer. Deswegen erklärte die Kirchenleitung amtlich: alle Pfarrstellen einer Gemeinde sind gleichwertig, alle Pfarrer sind gleichberechtigt. Der Vorsitz im Presbyterium steht also jedem zu; es muß nur geklärt worden, ob sie sich jährlich oder in größeren Abständen abwechseln wollen. In Langendreer hat es in dieser Hinsicht meines Wissens keine Probleme gegeben. Übrigens waren manche Presbyterien in Westfalen so klug, schon damals dem für Verwaltung besonders begabten Pastoren den ständigen Vorsitz zu übertragen, also die Aufgaben nach Funktionen zu verteilen, auch die Jugend- oder Vereinsarbeit, sogar den Kindergottesdienst bezirksübergreifend zuzuweisen.

Allgemein üblich wurde die Einteilung der Gemeinden in Pfarr- oder Seelsorgebezirke. Der Bezirkspfarrer übernahm dort die Amtshandlungen, den Unterricht und die Seelsorge. Zusätzlich gab es die damals aufblühenden Vereine, die einen geistlichen Beistand suchten. Kamen ihre Mitglieder aus allen Pfarrbezirken, z.B. in den Arbeiter- oder Jünglingsvereinen oder im Kirchenchor, dann suchten sie sich denjenigen der beiden Pfarrer aus, dem sie diesen Dienst zutrauten. Die Frauenhilfe wurde überall Gehilfin des Bezirkspastors und der Gemeindeschwester.. Man kann feststellen, daß die mit der Einführung von Pfarrbezirken verbundenen Probleme der Gemeindeordnung zunächst in kurzer Zeit gemeistert wurden.

Doch die Zahl der Gemeindglieder wuchs unaufhörlich weiter. Nach zwölf Jahren mußte eine dritte und 1904 eine vierte Pfarrstelle errichtet werden. Jetzt wurden die bisherigen Randgebiete zu neuen Pfarrbezirken, nämlich das neue Stadtviertel am Alten Bahnhof und die Streusiedlung in Langendreer-Holz. Das Ganze war nun aufgeteilt in einen Kern, das alte Dorf, und zwei Außenbezirke in Süd und West. Und diese Außenbezirke bekamen auch einen neuen Mittelpunkt durch die Kirchbauten von 1905: Lutherkirche und Pauluskirche.

Das bedeutete: die bisherige Einheit der sonntäglichen Gottesdienstbesucher in der Christuskirche, im alten Mittelpunkt der Gemeinde, war aufgelöst. Man konnte in Langendreer an drei Stellen zur Kirche gehen; es war möglich, jeden Sonntag einen anderen Pastor zu hören. Aber da nur wenige Gemeindeglieder eine solche Auswahl trafen, vielmehr jeder in die nah gelegene Kirche seines Bezirks ging. entstand ein Sog in Richtung auf Selbständigkeit der Außenbezirke. Das allen Bezirken gemeinsame Presbyterium vermochte sich auf Dauer nicht als Klammer für alle vier Pfarrbezirke durchzusetzen. Aus dem Miteinander wurde teilweise ein Gegeneinander. Nach zwölf Jahren steten Drängelns löste sich 1917 Langendreer-West von der Muttergemeinde. Langendreer-Holz hat es nicht so weit gebracht, obwohl man auch dort immer von neuem die Selbständigkeit forderte, zuletzt - wie wir uns alle erinnern - noch während der Amtszeit von Pfarrer Hellhammer. Der Gedanke lag ja auch nahe: unsere Kirche, unser Pastor, unser Kindergarten, unser Vereinshaus - was brauchen wir mehr, um als eigene Gemeinde zu leben?

Der Kirchenkampf der Nazi-Zeit und der zweite Weltkrieg haben diese Tendenz der Aufteilung des Ganzen in verschiedene Kirchengemeinden eine Zeit lang schlummern lassen. Sie erwachte wieder, als der Zustrom der Flüchtlinge und Vertriebenen die Bevölkerungszahlen kräftig ansteigen ließ und neue Wohnsiedlungen entstanden. Da wurde dann 1951 die ehemalige vierte Pfarrstelle, die ja nach Langendreer-West abgewandert war, für die Kalte Hardt neu errichtet. 1961 folgte die 5. Pfarrstelle für die Wilhelmshöhe. Die Kalte Hardt bekam sogar noch zwei weitere Pfarrstellen.

Diese Investitionen wurden ermöglicht durch die hohen Kirchensteuereinnahmen jener Jahre und ein modernes innerkirchliches Finanzsystem, das die Aufgabe der Pfarrstellenbesoldung den Gemeinden, ja sogar dem Bochumer Gesamtverband abnahm; sie erfolgte nunmehr zentral durch die Landeskirche. Die Gemeinden hatten nicht mehr wie noch zu Pastor Lichtenthälers Zeit die Möglichkeit, zu entscheiden, ob sie sich einen weiteren Pfarrer mitsamt Gehalt und Altersversorgung leisten könnten; denn sie hatten keine Übersicht über ihre realen Einkommensverhältnisse; der an sich begrüßenswerte und sehr hilfreiche Kirchensteuerabzug durch die Finanzämter und das dem Ausgleich zwischen reichen und armen Kirchenkreisen dienende landeskirchliche Finanzausgleichsgesetz läßt das nicht mehr zu. Im Augenblick versuchen die Bochumer Gemeinden, durch ein neues innersynodales Verteilungssystem jedem Presbyterium wieder die Möglichkeit zu geben, eine möglichst selbständige Finanzwirtschaft für ihr Personal, ihre Bauten und das innergemeindliche Leben durchzuführen.

Daß in der Nachkriegszeit die neuen Pfarrbezirke bald nach ihrer Errichtung zu den neuen Gemeinden Langendreer-Süd und Langendreer-Wilhelmshöhe verselbständigt wurden, lag nicht nur an der uns nun schon bekannten Tendenz der Außenbezirke, sich vom Ganzen abzutrennen. Es hatte auch damit zu tun, daß mit jedem neuen Pastor vier neue Presbyter hinzukamen, also das Presbyterium von 15 Personen bei drei Pfarrstellen auf 30 bei sechs Pfarrstellen anwuchs. Eine so große Zahl macht das Leitungsgremium schwerfällig, also suchte man sich zu verschlanken. Schließlich kam die Persönlichkeit der Pfarrer hinzu. Schon der junge Pfarrer Grügelsiepe war um 1902 durch seinen unbändigen Selbständigkeitsdrang angeeckt. Jetzt in den fünfziger Jahren hatten sich die drei Pastoren Alberts, Kleine-Tebbe und Scherler zu einem guten Team zusammengefunden und empfanden einen 68er Typ wie Pastor Wolf als Fremdkörper, den sie gerne loswerden wollten. Und sie zeigten auch keine Neigung, den älteren Amtsbruder Maldfeld auf der Wilhelmshöhe in ihren Dreierbund aufzunehmen. Darum stimmten sie den neuen Gemeindegründungen zu. Und dann - wie gehabt - baute sich jede neue Teilgemeinde ihre eigene Kirche, Michael und Markus.

Übrigens - als es darum ging, für die neue Gemeinde auf der Kalten Hardt einen Namen zu finden, habe ich vorgeschlagen, sie Langendreer-Süd zu nennen, ganz nüchtern nach dem Beispiel von Langendreer-West. Das Ganze, Langendreer, sollte der Oberbegriff bleiben und die verschiedenen Himmelsrichtungen sollen daran erinnern, daß dies nur ein Teil des Ganzen sei.

Seit den letzten Jahren meiner Amtszeit sinkt nun die Zahl der Gemeindeglieder in Westfalen, Bochum und Langendreer ständig. Die dritte Pfarrstelle von Langendreer-Süd bestand nur von 1965 - 1978 und wir überlegten damals schon , Langendreer--Süd und -West zusammenzulegen und durch drei Pfarrer versorgen zu lassen. Seit rund 20 Jahren also beschäftigen sich alle Beteiligten mit der Frage, wie das unbestrittene Ganze, nämlich das evangelische Langendreer, künftig bei sinkender Gemeindegliederzahl und also bei geringerem Einkommen in vernünftigem Zusammenspiel aller noch vorhandenen Einrichtungen und Personen pastorisiert werden kann. Da ist schon vieles ausprobiert worden: die Pfarrerschaft hat gemeinsame Predigtpläne für alle Predigtstätten gemacht, damit jeder auf jede Kanzel kommt. Der Kirchenkreis machte Langendreer zu einer Region der Jugendarbeit mit einem eigenen Jugendreferenten und die Gemeinde richtete einen zentralen Jugendgottesdienst ein. Auch sonst gab es gemeinsame Veranstaltungen und in den oekumenischen Begegnungen mit der katholischen Gemeinde wächst das Ganze ebenfalls zusammen. Aber das alles war noch zu wenig.

Seit Anfang dieses Jahres ist nun nach sorgfältiger Vorarbeit das Ganze auch satzungsgemäß wieder aus den Teilen entstanden: die vier Gemeinden sind wieder zu einer Gemeinde verschmolzen.. Die neue Form der Organisation dieser Gemeinde wird in der Kirchenordnung als gegliederte Gesamtgemeinde bezeichnet. Zu diesem Begriff paßt nicht mehr das Bild des Ganzen, das in selbständige Klötze oder Puzzle-Teilchen zerfällt. Hier muß ich das Beispiel des menschlichen Körpers anführen, der aus verschiedenen Organen und Gliedern besteht, die aufeinander angewiesen sind und zusammenspielen müssen, wenn der Körper nicht krank werden soll.

Eine gegliederte Gesamtgemeinde hat wie bisher ein Gesamtpresbyterium als oberstes Leitungsgremium, aber es bildet für die Alltagsarbeit fünf örtliche Bezirksausschüsse und dazu drei Fachausschüsse für verschiedene Verwaltungszweige, z.B. Finanzen, Personal, Bauten, Friedhof und ähnliche gemeinsame Aufgaben. Das Gesamtpresbyterium muß die Ausschußarbeit koordinieren, Schwerpunkte bilden und darauf achten, daß nicht vergessen wird, wozu wir Christen eigentlich da sind: Gottes Wort weiterzusagen und andere Menschen zu Christus zu führen. Dazu gehört m.E. das Angebot an die Gemeindeglieder für unterschiedlich gestaltete Gottesdienste in verschiedenen Kirchen, so daß die Jugend sich ihren Gottesdienst gestalten kann, die Alten ihre liebgewordenen Liturgie oder auch einen Sakramentsgottesdienst wiederfinden und andere sich an einer reichen Kirchenmusik erfreuen. So lange die fünf Predigtstätten noch bestehen, läßt sich da viel machen.

Die Voraussetzung für das Gelingen dieser sogenannten Fusion ist, daß sich alle Beteiligten als Ganzes begreifen, als die eine Kirchengemeinde Langendreer in ihren verschiedenen Bezirken und Gruppen. Das heißt, daß ihnen bewußt bleibt, daß das Miteinander durch jeden Egoismus Einzelner oder Gruppen gefährdet ist. Ein alter Pastorenspruch sagt: "Selig sind die Beene, die stehn vorm Altar alleene". Aber die Zeit der Ein-Mann-Pfarrstellen scheint vorbei zu sein, auf Teamwork kommt es an, also auf das Miteinander, nicht nur für Pastoren, sondern auch für Presbyter und Mitarbeiter und eigentlich für jedes Gemeindeglied. Wenn wir im Glaubensbekenntnis unsere Gemeinde als communio sanctorum, d.h. als Gemeinschaft der zu Gott Gehörenden bezeichnen, dann sollten wir auch entsprechend miteinander umgehen..

3.7.2002.Wolfgang Werbeck